Zürcher Polizisten dürfen auch einmal ein Auge zudrücken
marcosolovon Attila Szenogrady Zürcher Polizeibeamte müssen nicht jeden Verkehrssünder verzeigen. Sogar wenn direkt zuvor ein Verkehrsteilnehmer wegen des exakt gleichen Vergehens gebüsst wurde. Für den 40-jährigen Mitarbeiter des Polizeilichen Assistenzdienstes ging es um viel. Ihm drohte wegen Amtsmissbrauch sowie Begünstigung neben einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu 100 Franken eine Busse von 300 Franken. Der Sachverhalt war unbestritten. Demnach war der Angeschuldigte am 4. September 2006 zusammen mit einer Arbeitskollegin im Kreis 5 im Einsatz. Damals beobachteten die beiden Beamten, wie eine Autolenkerin an der Limmatstrasse eine Sicherheitslinie überfuhr. Mit der Folge, dass die erwischte Verkehrssünderin ans Stadtrichteramt verzeigt wurde. Auge zugedrückt Noch während die erste Lenkerin kontrolliert wurde, fuhr eine zweite Autohalterin über die gleiche Sicherheitslinie. Die Thurgauerin hatte mehr Glück, da sie der Angeklagte zwar mündlich verwarnte, aber ein Auge zudrückte und von einer Verzeigung absah. Wenn zwei das gleiche tun, ist das noch lange nicht dasselbe, dachte sich die gebüsste Lenkerin, als sie später von der Nachsicht erfuhr. Sie zeigte den Verkehrsbeamten an. Mit Erfolg, da die Staatsanwaltschaft Anklage erhob. Gegen sinnlose Vielstraferei Am Dienstag stand der Beamte vor Gericht und gab zwei Gründe für sein Verhalten an. Einerseits habe es sich bei der zweiten Lenkerin um eine Thurgauerin gehandelt. Andererseits habe er sich Sorgen um seine Arbeitskollegin gemacht. Was, wenn diese von einem aufgebrachten Autohalter angegriffen worden wäre, wollte der Verteidiger Karl Schröder dazu wissen. Dieser verlangte einen vollen Freispruch und hielt ein Plädoyer gegen die «sinnlose Vielstraferei». Schröder verwies auch auf den Zürcher Polizeibeamten, der kürzlich Bundesrat Moritz Leuenberger nicht gebüsst, sondern im Gegenteil, dessen leere Parkuhr gefüttert habe. Voller Freispruch Das Gericht sprach zwar von einem Grenzfall, kam aber dennoch zu einem vollen Freispruch. Amtsmissbrauch sei nicht gegeben, da der Beschuldigte keinen Zwang ausgeübt und damit gar nicht amtlich gehandelt habe, führte der Vorsitzende aus. Auch die Begünstigung sei nicht erwiesen, da den Polizeibeamten ein gewisser Ermessensfreiraum zugute zu halten sei. Was bedeute, dass die Ordnungshüter gerade bei Massendelikten von einer Verzeigung auch einmal absehen könnten. Da beim Überfahren der Sicherheitslinie niemand konkret gefährdet worden sei, habe sich der Angeklagte mit seiner Nachsicht nicht strafbar gemacht, erläuterte der Einzelrichter. Polizeibeamte sollen dort handeln, wo es wirklich wichtig sei, erklärte der Vorsitzende. ms: hoffen wir, dass dies ein Zeichen ist, dass Zürcher oder besser noch, alle Polizisten in Zukunft öfters mal ein Auge zudrücken sollten. Sie brauchen sich zumindest nicht mehr vor einer Klage fürchten zu müssen.